COVID-19: Das böse Erwachen

Trotz einiger Lockerungen halten die COVID-19-Maßnahmen die Wirtschaft im Würgegriff. Wenn nicht durch direkte Einschränkungen, dann durch den Konsumeinbruch. Was richtig oder falsch, nötig oder überzogen ist, wird sich später in den Geschichtsbüchern nachlesen lassen. Für heute gilt: der Kampf ums Überleben hat begonnen, und wir sind mittendrin.

Redaktion: Angelika Gabor.

Die Chronologie des Grauens begann im März 2020 – und ist längst nicht vollendet. Zwar sind inzwischen drei Monate vergangen und viele der Einschränkungen wieder aufgehoben, aber die Nachwehen des Corona-Lockdowns werden uns noch Jahre begleiten. Nach und nach wird klar, dass wir und die Generationen nach uns einen hohen Preis zahlen müssen dafür, dass wir aus gesundheitlicher Sicht glimpflich davon gekommen sind. Die Anzahl der menschlichen Todesopfer hält sich in Grenzen, aber dafür werden bis Jahresende noch etliche Unternehmen zu Grabe getragen werden.

Die Regierung hat riesige Hilfspakete geschnürt und unter der Devise „koste es, was es wolle“ (übrigens ein deftiger Übersetzungsfehler, ursprünglich stammt das Motto von Mario Draghi: „Whatever it takes“ ist nämlich definitiv nicht rein monetär zu verstehen) und „wer schnell hilft, hilft doppelt“ rasche, unbürokratische Hilfe versprochen – und dafür international Applaus erhalten.

Auch das Kurzarbeitsmodell wurde vielfach in den Himmel gelobt. Leider sieht für sehr viele Unternehmer die Realität ganz anders aus. Im Gespräch mit Betroffenen zeigt sich schnell, dass sie im Nachhinein lieber ihre Mitarbeiter gekündigt hätten – denn die Abwicklung der Kurzarbeit treibt diese in den Ruin.

Nicht nur dauert es aufgrund von (verständlicher) Überlastung etliche Wochen bis Monate, ehe man einen Bescheid zur Kurzarbeit erhält – auch nach der Bewilligung hat das AMS 90 Tage Zeit, das Geld zu erstatten. Das bedeutet, die Unternehmen müssen ihrer gesamten in Kurzarbeit befindlichen Belegschaft das volle Gehalt vorstrecken, monatelang. Und das in einer Situation, wo die Einnahmen komplett wegbrechen.

Wer da keinen guten Kapitalpolster oder Erspartes auf der hohen Kante hat, hat keine Chance. Denn die Überbrückungskredite sind in Wahrheit nur ein Verschieben des Problems. Die kurzfristig gewonnene Liquidität entwickelt sich nämlich in ein paar Monaten zu einem erdrückenden Mühlstein. Wovon soll man Kreditraten ohne Gewinne bedienen?

Denn auch die plötzlich aufkeimenden Ideen für unterschiedliche Konsumations-Gutscheine für Essen im Wirtshaus oder Reparatur beim Dienstleister können das Problem nicht übertünchen: die Leute wollen und/oder können jetzt ihrer Konsumlust einfach nicht frönen, weil sie aufgrund von Kurzarbeit, Verdienstentgang oder gar Arbeitslosigkeit schlicht und ergreifend kein Geld übrig haben, um sich neue Möbel, Elektrogeräte oder Champagner zu kaufen.

Apropos Kredite: ein mir bekanntes, kleineres Unternehmen wollte über seine Hausbank den vielfach beworbenen Corona-Hilfskredit beim AWS beantragen. Die Bank jedoch weigerte sich und bot stattdessen einen Privatkredit an – mit Vorkaufsrecht auf das Firmengebäude. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Laut aktueller Eurostat-Berechnungen sank das saisonbereinigte BIP im ersten Quartal im Euro-Raum in Folge der Corona-Maßnahmen um 3,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal – im EU-Raum um 3,3 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen sind verglichen mit 2019 katastrophal. Mitte April waren 588.000 Menschen arbeitslos, so viele wie seit dem Jahr 1945 nicht mehr. Zwar konnte im Mai durch Lockerungen wieder eine leichte Erholung festgestellt werden, dennoch lag die Arbeitslosenquote bei 11,5 Prozent. Hinzu kommen 1.371.338 Menschen in Kurzarbeit.

Unseren deutschen Nachbarn halten laut Ifo-Institut übrigens bei stolzen 7,3 Millionen Kurzarbeitern – absoluter Rekord (zum Vergleich: in der Finanzkrise 2009 waren es 1,5 Millionen). Geht es nach EU-Kommissar Paolo Gentiloni, wird sich die makroökonomische Situation aber bald zum Guten wenden.

Anlässlich des 130 Milliarden Euro schweren deutschen Konjunkturpaketes sagte er nämlich zur FAZ: „Die europäische Wirtschaft wird sich nicht erholen, ohne dass die deutsche wieder deutlich wächst, und umgekehrt. Deshalb wird dieses Paket ganz Europa helfen.“

Tante Angela wird es also richten, keine Sorge. Angesichts dieser Spendierhosen erscheint die Dotierung des von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende Mai vorgestellten Wiederaufbaufonds in der Höhe von 750 Milliarden Euro fast ein bisschen mickrig. Ist aber nicht schlimm, denn Österreich wird ohnehin nicht zustimmen. Das Paket soll nämlich durch eine Schuldenaufnahme der EU finanziert werden, die mit einer Laufzeit von 30 Jahren durch EU-Eigenmittel (neue EU-Steuern, zB Klima- und Konzernabgaben) getilgt würden.

Wenn man sich ansieht, wie lange innerhalb der Mitgliedsstaaten über solche Steuern bereits gestritten wird, kann man die Zweifel des österreichischen Finanzministers an diesem Vorhaben nachvollziehen. Dem Verteilungsschlüssel folgend müsste Österreich für etwa 16 Milliarden Euro einstehen, wodurch der Beitrag inklusive regulärer Nettozahlung im schlimmsten Falle von 3,3 auf 6,6 Milliarden Euro ansteigen könnte. Wer hat gesagt, dass Dazugehören billig sei?

Generation Co?
Neben all den Auswirkungen auf die Ökonomie ist etwas anderes ein bisschen in den Hintergrund gerückt: der soziale Aspekt. Noch kann niemand sagen, welche Langzeitwirkungen der Lockdown auf die jetzt heranwachsende Generation haben wird. Viele Jugendliche werden aufgrund sparsamerer Betriebe keine Lehrstelle finden, ein toller Start ins Erwerbsleben. Originelle Maturanten haben mit ihren leer abgegebenen Prüfungsunterlagen (Weil’s eh wurscht is…) den Beweis geliefert, dass die Matura 2020 nichts wert ist.

Tausende Schüler haben ein Zeugnis bekommen, das eigentlich nichts wert ist, weil keiner weiß, ob die Noten geschenkt wurden oder nicht. Die Schule dient der Wissensvermittlung, und monatelang durfte keiner hin. Der Unterricht zu Hause fiel von Region zu Region, von Schule zu Schule, von Lehrer zu Lehrer unterschiedlich aus. Manche konnten auf der faulen Haut liegen, andere wurden mit Übungen überschüttet. Während die einen nur bereits erarbeiteten Schulstoff festigten und übten, durften sich andere Eltern die Zähne an der Vermittlung neuer Inhalte ausbeißen.

Ich gebe zu, ich gehöre zu den letzteren. Etwas jedoch eint all die unterschiedlich „beschulten“ Kinder: niemand weiß, welche psychischen Auswirkungen sie durch die soziale Distanz von ihren Mitschülern, den Verlust der täglichen Routinen und Strukturen davontragen werden. Wir können nur hoffen, dass diese Generation Co(rona) die entstandenen Lücken wieder füllen kann – inhaltlich und seelisch. Hoffen, dass sie daraus lernen und es in Zukunft anders machen. Der deutsche Chemiker Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger meinte einst „Um jeden Krisenherd hocken Leute, die ihr Süppchen darauf kochen.“  Hoffen wir, dass es diesmal keine Fledermaussuppe ist. (AG)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 3/2020

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