Dunkle Wolken: Energiequelle Gas als Zünglein an der Waage

Dunkle Wolken sind über der Industrie in Europa aufgezogen. Auslöser ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Fällt russisches Erdgas aus, steht in Europas ein Teil der Industrie still. Daran hängen dann auch andere Branchen und unzählige Arbeitsplätze.

Die Diskussion rund um Erdgasimporte aus Russland hat zahlreiche Facetten. Da sind zunächst einmal die Dimensionen des Themas: politische, wirtschaftliche, nachhaltige. Und je nachdem, in welcher Dimension man sich bewegt, kann ein anderes Ergebnis zur Frage „Gas aus Russland – ja oder nein“ herauskommen. Auf eine politische Betrachtung wollen wir hier weitgehend verzichten. Stattdessen widmen wir uns den Aspekten Umwelt und Wirtschaft. Es ist schon erstaunlich, wieviel Gas in den vergangenen Jahrzehnten verbrannt wurde, ohne dass sich sonderlich viele Menschen darüber Gedanken gemacht hätten. An die Industrie ist ganz klar die Forderung zu richten, sich rasch um umweltschonendere, nachhaltigere Alternativen zu kümmern. Das Gleiche gilt im Übrigen für private Haushalte. Auch dort wird viel zu stark mit fossilen Energien geheizt, Warmwasser bereitet etc.

Gasabhängigkeit.
Interessanterweise ist die Gasabhängigkeit in Europa durchwegs sehr unterschiedlich. Das liegt im Wesentlichen an zwei Faktoren: Industrieinfrastruktur und geographische Lage. Das führt dazu, dass Deutschland zum Beispiel mehr als 50 Prozent seines Gasverbrauchs aus russischen Quellen deckt. In Österreich dagegen sind es bereits mehr als 80 Prozent. Da wieder herauszukommen, ist ein langer Weg – und vor allem ein teurer. Umgekehrt würde ein Gasembargo Europas Russland hart treffen, weil es dadurch hohe Deviseneinnahmen erzielt. Ein Ausstieg aus der Erdgasabhängigkeit gegenüber Russland müsste mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen angegangen werden (siehe Grafiken).

Manche Faktoren sind leicht umzusetzen, andere wiederum entweder schwierig oder sie führen zu anderen Umweltproblemen. Eine der einfachsten Maßnahmen ist wohl die Reduktion der Raumtemperatur um einen Grad Celsius überall dort, wo Gas als Energiequelle dient. Das ergibt Einsparungen von rund sieben Prozent des Gasverbrauchs. Dazu rechnen sollte man aber auch, dass zahlreiche Gebäude in Zeiten ohne Nutzung – etwa nachts oder an den Wochenenden – unvermindert mit gleicher Temperatur weitergeheizt werden. Schrittweise wird auch der Ausbau der erneuerbaren Energien zur Gasreduktion beitragen. Wind- und Sonnenenergie aber auch Energieproduktion aus Wasser zählen vorrangig dazu, weiters Solarthermie, Wärmepumpen und andere.

Atomenergie.
Weniger erfreulich ist der Schwenk in Richtung Atomenergie, den einige Länder wie Frankreich etc. bereits gehen. Denn die Kernenergie ist nachweislich keine sichere Energie, sie verursacht mit Abstand die höchsten Kosten in der Erzeugung und sie wirft ein unlösbares Problem mit radioaktiven Abfällen auf. Um Klimaziele zu erreichen, darf ein wesentlicher Punkt nicht vergessen werden: Es bedarf insgesamt einer Reduktion in vielen Bereichen, um nicht in die Klimakatastrophe zu rutschen. Weniger von allem ist mehr an Lebensqualität. Zurzeit wird zu viel produziert, zu viel konsumiert – mit allen Folgen daraus. Darüber hinaus muss wieder nachhaltiger produziert werden, um die Lebensdauer von Produkten zu erhöhen und damit den Verbrauch – etwa von Rohstoffen – zu reduzieren.

Klar ist, dass ein Aus bei Gas zu starken Verwerfungen in der gesamten Wirtschaft Europas führen würde – von der Produktion bis zur Logistik. Eine klare Position in Sachen Gasembargo vertritt die Industrie. Sie weiß um ihre Abhängigkeit von Gas, konkret derzeit von russischem Erdgas. Diese gilt stark für Industriekaiser Deutschland und ganz besonders stark für Österreich. Daher kommt von dieser Seite auch eine klare Absage an jegliche Art von Gasembargo. Das Gespräch mit einem Vertreter der Industrie in Österreich führte Manfred Kainz: Bei der Eskalation der Sanktionen gegen Russland sei es wichtig, deren Wirksamkeit realistisch einzuschätzen und den Folgen für unsere Gesellschaft gegenüberzustellen.

„Es ist daher unverständlich, wenn sogar von Seiten mancher österreichischen Experten und Politiker ein Gasembargo gefordert wird, ohne auf die gravierenden Folgen aufmerksam zu machen. Der völlige wirtschaftliche Absturz unseres Landes stünde uns bevor“, formuliert es der Präsident der Industriellenvereinigung (IV) Wien, Christian C. Pochtler. „Wir reden hier bei einem Embargo nicht von konjunkturellen Schwierigkeiten, Kurzarbeit oder Ähnlichem, wie wir das aus Pandemiezeiten schon kennen. Wir reden hier von geschlossenen Industrien, auf unabsehbare Zeit. Von Massenarbeitslosigkeit sowie plötzlichem, aber heftigem und vor allem nachhaltigem Wohlstandsverlust für ganz Österreich“, warnt Pochtler deutlich. Wenn Österreich seine wirtschaftlichen Aktivitäten in einem derartigen Ausmaß zurückfahren müsse, wie es ein Aus der Gaslieferungen aus Russland bedeuten würde, dann „löst dies eine ganze Kettenreaktion an Katastrophen aus. Wer in Österreich ein Gasembargo fordert, nimmt in Kauf, unser Land und seine Menschen zu ruinieren“, so der IV-Wien-Präsident eindringlich. „Dabei kann keiner sagen, ob solch eine Maßnahme überhaupt dazu dient, diesen Krieg zu verkürzen.

Der russische Präsident scheint wenig besorgt um das Wohlergehen der eigenen Soldaten oder Bürger. Warum sollten ihn weitere Sanktionen beeindrucken? Außerdem haben Analysen zu den Wirkungen von Wirtschafts-Sanktionen bei bewaffneten Konflikten gezeigt, dass sie nicht zu einer beschleunigten Beendigung führen“, ist Pochtler überzeugt. Die humanitäre Krise in der Ukraine zu beenden, müsse das Ziel der westlichen Staatengemeinschaft sein. Dem stimmt auch der Industrielle zu. „Es ist daher verständlich, dass man angesichts der schrecklichen Nachrichten und Bilder den Aggressor möglichst rasch und empfindlich treffen will. Wir alle wollen, dass dieser Krieg so bald wie möglich endet, aber wir sollten nüchtern unsere Handlungsoptionen abwägen. Ansonsten ruinieren wir, was Generationen in Österreich aufgebaut haben, ohne erkennbaren Gewinn oder Gegenwert, weder für uns noch sonst wen“, warnt Pochtler abschließend. (PN)

 


Quelle: LOGISTIK express Journal 2/2022

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