EU und EFTA buhlen um Verbraucher im Mercosur

Am 28. Juni einigten sich die Staaten des Mercosur mit der EU über ein Freihandelsabkommen. Am 23. August konnte die EFTA ihre Verhandlungen erfolgreich abschließen. Allerdings sind beide Verträge noch nicht in trockenen Tüchern.

Beitrag: Arne Mielken.

Nach zwanzig Jahren Verhandlungen mit Unterbrüchen erfolgte am 28. Juni 2019 endlich eine Einigung über ein Freihandelsabkommen (kurz FHA, „Agreement in Principle“) zwischen der Europäischen Union (EU) und den Mercosur-Ländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay). Am 12. Juli hat die Europäische Kommission einen Teil des vorläufigen Vertragstextes (Handelsteil) veröffentlicht. Dieser unterliegt aber noch einer juristischen Prüfung („legal scrubbing“) und kann sich daher noch leicht ändern. Die Zollabbaupläne der EU und des Mercosur wurden noch nicht publiziert.

Das FHA ist analog den neuen Abkommen mit Kanada und Japan breit und umfassend angelegt. Es deckt nicht nur tarifäre Fragen (Zoll, Exportsubventionen), sondern auch Regelungen zu Dienstleistungen und anderen handelsrelevanten Aspekten wie Investitionen, Gründung von Niederlassungen, Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen, Arbeitnehmerrechte und Wettbewerbsfragen ab.

Ein wichtiger Teil ist der Abbau nicht-tarifärer Handelsschranken, insbesondere unterschiedlicher technischer Normen und Vorschriften.  Derzeit erheben die Länder des Mercosur relativ hohe Zollabgaben, die für Kraftfahrzeuge, Textilien, Bekleidung, Schuhe, Spirituosen und Softdrinks bei bis zu 35 % liegen, für Wein bei 27%, für Kraftfahrzeugteile, Chemikalien und Kekse bei bis zu 18 %, für Maschinen bei 14 – 20 % und für Arzneimittel bei bis zu 14 %.  Mit dem Abkommen sollen Zölle auf 91 % der EU-Exporte nach und nach reduziert oder ganz beseitigt werden. Die EU-Einfuhrzölle auf 92 % der Mercosur-Waren sollen ebenfalls gesenkt oder abgeschafft werden.

Zahlreiche Schutzklauseln.
Das Abkommen ist mit verschiedenen Schutzklauseln ausgestattet. Beispielsweise sollte es aufgrund der Zollsenkungen zu einem unerwarteten, erheblichen Anstieg der Einfuhren kommen, der die inländische Industrie schwer zu schädigen droht, ist die Einführung vorübergehender Schutzmaßnahmen erlaubt.

Für Importe in die EU sollen weiterhin die bestehenden, hohen Standards der Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzengesundheit gelten. Im FHA wird ausdrücklich das „Vorsorgeprinzip“ beibehalten, wonach Behörden das Recht haben, zum Schutz menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens oder der Umwelt zu handeln, wenn nach ihrer Einschätzung ein Risiko besteht. Dies gilt selbst dann, wenn keine eindeutigen einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen.

Das Abkommen enthält detaillierte Bestimmungen in Bezug auf Urheberrechte, Marken, gewerbliche Muster, geografische Angaben und Pflanzensorten. Der Abschnitt über die Rechte des geistigen Eigentums regelt auch den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Die EU und die Länder des Mercosur verpflichten sich außerdem das Pariser Klimaschutzübereinkommen, das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen (CITES) sowie UN-Abkommen über die biologische Vielfalt und Fischereibewirtschaftungsmaßnahmen wirksam umzusetzen. Organisationen der
Zivilgesellschaft erhalten die Möglichkeit, die Umsetzung des Abkommens – auch in Umweltbelangen – aktiv zu überwachen. Ferner sieht das Abkommen ein neues Forum für eine engere Zusammenarbeit für einen nachhaltigeren Ansatz in der Landwirtschaft vor.

Verzögerungen möglich.
Bis das FHA in Kraft tritt, wird einige Zeit ins Land gehen. U.a. muss es noch in alle EU-Amtssprachen übersetzt, dem Rat der EU (EU-Mitgliedstaaten) und dem Europäischen Parlament zur Genehmigung vorgelegt sowie in allen Mercosur-Ländern ratifiziert werden. Die Entscheidung im EU-Rat muss einstimmig sein.

In Österreich gibt es allerdings Gegenwind. Der inzwischen abgewählte Nationalrat hatte die Regierung Ende September zu einer Ablehnung des Abkommens verpflichtet. Wie die zukünftige Regierung abstimmen wird, ist ungewiss. Auch Luxemburg will gegen das FHA votieren. In Argentinien könnte es im Dezember d.J. zu einem Regierungswechsel und damit zu einem Zurückdrehen der Marktöffnung kommen. Auch politischer Streit um Abholzungen im Amazonas und präsidiale Befindlichkeiten könnten das Inkrafttreten des FHA noch verzögern. Europäische Bauernverbände machen weiterhin Front gegen das Abkommen, da sie trotz Zusicherungen einen massiven Preisdruck durch minderwertige Fleischimporte, Gen manipuliertes Getreide, bei Ölsaaten und Zucker fürchten.

Interessanter Wachstumsmarkt.
Der Mercosur zählt rund 260 Millionen Verbraucher. Das sind nur halb mal so viele wie in der EU (512 Millionen), aber das jährliche bilaterale Handelsvolumen der EU mit dem Mercosur beläuft sich derzeit immerhin auf rund 88 Mrd. EUR (Waren) bzw. 34 Mrd. EUR (Dienstleistungen).

Der Wirtschaftsblock wird durch Brasilien dominiert auf das 80% der Wirtschaftskraft und der Bevölkerung entfällt. Die EU führt pro Jahr Waren im Wert von 45 Mrd. EUR in die Mercosur-Länder aus und importiert von dort Waren von ähnlichem Wert (43 Mrd. EUR). Bei den Dienstleistungen sind die EU-Ausfuhren mehr als doppelt so hoch wie die Einfuhren. Unternehmen aus der EU erbrachten Dienstleistungen im Wert von 23 Mrd. EUR für Kunden im Mercosur, Unternehmen aus Mercosur-Ländern wiederum Dienstleistungen für Kunden in der EU im Wert von 11 Mrd. EUR.
Durch Zollsenkungen könnten Exporteure in der EU laut EU-Angaben jährlich über 4 Mrd. EUR sparen.

EFTA zieht nach.
Am 23. August konnten auch die EFTA- (Schweiz, Norwegen, Island, Liechtenstein) und die Mercosur-Staaten ihre Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen in der Substanz abschließen. Es befreit mittelfristig rund 95 Prozent der EFTA-Ausfuhren in die Mercosur-Staaten von Zollabgaben. Zudem werden technische Handelshemmnisse abgebaut, der Marktzugang für EFTA Dienstleistungserbringer erleichtert und die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen generell gestärkt.

Das FHA verhindert eine Schlechterstellung der Unternehmen im EFTA-Raum gegenüber denen in der EU. Beide FHA sind sich inhaltlich sehr ähnlich. Zu den zentralen Punkten des Abkommens zählen ein weitgehend freier Zugang für EFTA-Industrieprodukte, Quoten für ausgewählte Mercosur-Agrarexporte und ein Patentschutz für Schweizer Pharmakonzerne.

Im Agrarbereich gewährt beispielsweise die Schweiz für ausgewählte Produkte erstmals auch bilaterale Kontingente außerhalb ihrer WTO-Verpflichtungen. Diese Konzessionen wurden so ausgestaltet, dass sie die Ziele der Schweizer Agrarpolitik nicht in Frage stellen. Das Abkommen soll spätestens im Jahr 2021 ratifiziert werden. Es bleibt abzuwarten, ob es bis dahin die Referendum-Hürde in der Schweiz erfolgreich genommen hat.

Türöffner IT.
Die Komplexität der neuen FHA überfordert viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Internationale Softwarehäuser wie E2open bieten jedoch ausgefeilte Softwarelösungen an, die Unternehmen bei der Feststellung der Dokumentenpflichten und Sonderanforderungen, der Generierung der notwendigen Export- und Importdokumente und beim Dokumentenmanagement unterstützen. Sie helfen bei der Produktklassifizierung und Identifizierung der korrekten Zolltarife.
Sie assistieren beim Erstellen und Verwalten von Ursprungszeugnissen. Und für den Export von Dual-Use-Gütern bieten sie Unterstützung bei der Einrichtung rechtskonformer Exportkontrollprozesse.

Die Software vereinfacht Preisvergleiche auf Einstandskosten-Basis und hilft bei der Festlegung optimaler Lieferbedingungen. Sie erhöht das Bewusstsein für Zollvorteile oder Quotenbeschränkungen und öffnet die Augen für neue Handelsmöglichkeiten. Sie reduziert Trade-Compliance-Risiken, spart Zeit gegenüber manuellen Recherchen und steigert Supply-Chain-Management-Effizienz und Supply-Chain-Transparenz. Die E2open Global Trade Management-Lösungen basieren auf einer umfassenden, tagesaktuellen Datenbank. Mit Inkrafttreten des FHA werden die neuen Zolltarife und andere zolltechnische Anforderungen automatisch ins System gespeist. So können Kunden sofort von den Vorteilen des FHA in Form von niedrigeren Zollabgaben und Gebühren profitieren.

Fazit:
Mit den neuen Freihandelsabkommen hoffen Europas Politiker, dem Vormarsch Chinas in Südamerika Einhalt gebieten zu können. Doch es gibt hier und in den Mercosur-Ländern noch viele Widerstände zu überwinden. Gründe sind u.a. die seit Jahren anhaltende Wirtschaftskrise in Argentinien und Brasilien, aber auch die lahmende Weltwirtschaft. Die große Mehrheit der Unternehmen in der EU und im Mercosur sind KMU. Einigen eröffnen sich interessante Exportmöglich-keiten, andere fürchten mehr Wettbewerb. Eine spezielle Website soll den KMU den Marktzugang erleichtern. Dies allein wird nicht genügen. Der stufenweise Abbau der Zollschranken über mehrere Jahre und komplexe Ursprungsregeln stellen hohe Anforderungen an die Unternehmen. Diese sind nur durch eine durchgehende Digitalisierung der Exportprozesse zu meistern. Dadurch kann die Zusammenarbeit mit den Handelspartnern, Zollbehörden und Verzollungspartnern transparenter, durchgängiger und kostengünstiger gestaltet werden.  (AM)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 4/2019

Translate »