Russland: Nach der Krise ist vor der Krise

Die Russische Föderation gilt zurecht als eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt. Doch die Risiken und Herausforderungen nehmen nicht ab

Als flächenmäßig größtes Land der Erde verfügt Russland über gewaltige Rohstoffvorkommen bei Durchschnittslöhnen weit unterhalb des Niveaus der Europäischen Union. Das macht Russland zu einem begehrten Produktions- und Investitionsstandort und zugleich zum Zukunftsmarkt für die Investitionsgüterindustrie. Riesige Transportstrecken, wachsende Transportvolumen, unzureichende Logistikkapazitäten und ein boomender Einzelhandel verstärken die Entwicklung. Die Nachfrage nach hochwertigen Verkehrs- und Logistikdienstleistungen ist ungebrochen.

Die aktuellen Entwicklungen zeigen: Die Risiken in den russischen Märkten wachsen. Die keinesfalls überwundenen Herausforderungen der letzten zehn Jahre waren widersprüchliche regionale Gesetze, wechselhafte Rechtsauslegungen, lokale Machtverhältnisse und widerstreitende Wirtschaftsinteressen – verschärft durch Korruption und Kriminalität. Heute kommen nicht nur Handelsschranken trotz WTO-Beitritt und das Gezerre um das TIR-Verfahren hinzu, sondern vor allem die Aktivitäten Russlands zur Stärkung der eigenen geopolitischen Bedeutung. Ein Ziel, das mit der Ukraine-Krise verstärkt öffentliche Aufmerksamkeit erlangt hat. Auch die jüngsten Wahlen haben die Lage keineswegs entschärft. Zumal die Ukraine nicht der einzige mögliche Krisenherd in der russischen Einflusszone ist. Sanktionen gegen Russland werden auf alle zurückwirken, die diese Sanktionen aussprechen und vollziehen. Bei den zu erwartenden Gegenmaßnahmen des russischen Staates werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nationale über wirtschaftliche Interessen gestellt. Wie sich das auswirken kann zeigen die neuesten Meldungen aus dem deutschen Branchenverband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Zwei Drittel der Unternehmen spüren die Folgen schon heute deutlich. Zunehmend können bereits lieferfertige Anlagen nicht exportiert werden, weil die entsprechenden Exportgenehmigungen ausbleiben. Gleichzeit nimmt die Zahl der Anfragen ab, während die Stornierungen zunehmen. Dass in Russland auch sonst nicht immer das Primat der Ökonomie gilt, lässt sich an den zwar begonnenen, aber viel zu zögerlichen Investitionen in die Modernisierung und den Ausbau der nationalen Infrastrukturen gut erkennen. Hier stehen Eigennutz und eine überbordende Bürokratie über den wirtschaftlichen Interessen einer Weltmacht.

Die starke Orientierung Russlands in Richtung China erscheint vielen als Schimäre. Unter welchen Bedingungen das jüngste Handelsabkommen über Gaslieferungen realisiert werden kann, bleibt ungewiss. Die entsprechenden Gasfelder in Ostsibirien sind noch unerschlossen, die erforderlichen Pipelines fehlen und selbst Experten bezweifeln, dass das Vorhaben wirtschaftlich ist. Eines aber ist klar mit diesem Abkommen hat sich das geopolitische Gleichgewicht nach Osten verschoben. In Kombination bilden China und Russland wirtschaftlich eine gewaltige Macht. Schon zuvor gab es zahlreiche gemeinsame Projekte etwa zur Erschließung von Rohstoffen oder zur Entwicklung von Linienflugzeugen und Automobilen. Andererseits darf man diese Entwicklungen nicht überbewerten. Die sehr gut ausgebauten Infrastrukturen in Richtung Europa sprechen eine deutliche Sprache. Aus diesem Markt und aus den dort möglichen Kooperationen wird sich Russland auf Dauer sicher nicht verabschieden wollen.

Den möglichen Risiken am russischen Markt stehen gewaltige Investitionsvolumen im Bereich der Infrastrukturentwicklung, der Exploration von Rohstoffen, der Modernisierung der Industrie und der Landwirtschaft gegenüber. Die machen diesen Markt für Unternehmen höchst attraktiv. Doch was Produzenten, Lieferanten und Investoren heute benötigen, sind verbindliche Aussagen und Rechtssicherheit. Gerade die jedoch sind Mangelware im russischen System.

Unternehmen tun gut daran, in dieser Gemengelage einen klaren Kopf zu behalten. Sie sollten die möglichen Entwicklungen gründlich analysieren, Chancen und Risiken für das eigene Geschäft systematisch betrachten und dabei Kunden- und Lieferantenbeziehungen nicht aus dem Blick verlieren. Vor allem wird es wichtig sein, zu klaren Abschätzungen zu den Zeithorizonten der möglichen Entwicklungen Russlands zu kommen, diese in Beziehung zu den Zeitspannen der eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten zu setzen und daraus die beste strategische Entscheidung für jedes mögliche Geschäftsfeld abzuleiten. Geopolitisch orientierte Systemanalysen und Risikobetrachtung sowie eine expertengestützte Marktanalyse, die die konkreten wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt, sind unabdingbare Voraussetzungen für den Unternehmenserfolg im russischen Markt.

Quelle: Logistik express Fachmagazin 2/2014

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