TTIP, TISA, TPP, CETA, ISDS, LMAA

Der Handel ist fast so alt wie die Menschheitsgeschichte und hat sich seit damals extrem verändert. Moderne Handelsabkommen versprechen Wohlstand und Vorteile, bergen jedoch auch Risiken. Logistik express hat sich des Themas angenommen, Fakten gesammelt und Meinungen dazu eingeholt. 

Es ist manchmal schwer, den Überblick bei all diesen Abkürzungen nicht zu verlieren. Natürlich sind sie praktisch, man muss sich die teils oft sehr sperrigen Begriffe nicht merken – allerdings verlieren sie in der Welt der „mfg“ und „gg“ für den einen oder anderen vielleicht an Brisanz. Denn hinter den soeben verhandelten Abkommen und Klauseln verbergen sich Änderungen, die jeden Einzelnen betreffen. Daher zu Beginn eine kleine Begriffsklärung:

Das steckt dahinter
Aktuell kommt niemand, der Nachrichten in irgendeiner Weise konsumiert, an TTIP vorbei. Das steht für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“. Für heftige Kritik sorgt die darin enthaltene Investorenschutzklausel ISDS, „Investor-State Dispute Settlement“, ein Streitbeilegungsverfahren zwischen Unternehmen und Staaten. Ein Schelm, der Böses (zB Rent-Seeking) dabei denkt oder erwartet! Bei TISA, dem „Trade in Services Agreement“, geht es um ein internationales Abkommen über Dienstleistungen. Ende September wurde trotz massiver Proteste CETA, „Comprehensive Economic and Trade Agreement“, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada unterzeichnet. In diesem Abkommen gibt es ebenfalls eine ISDS-Klausel und zusätzlich sind darin ähnliche Formulierungen wie im abgelehnten ACTA-Abkommen, dem „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) enthalten. Was jetzt noch fehlt, ist die Ratifizierung durch die einzelnen Parlamente. TPP ist hierzulande kaum bekannt, die Trans-Pacific Partnership oder Transpazifische Partnerschaft ist ein Freihandelsabkommen zwischen Brunei, Chile, Neuseeland, Singapur. Es findet sich deshalb in der Liste, weil die USA über den Beitritt verhandeln. Interessanterweise ergeben die Mitglieder und Inhalte von TTIP und TPP zusammengefasst nahezu exakt TISA.

Gemeinsam ist all diesen Abkommen, dass sie unter rigidem Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden und wurden – und hier kommt die letzte Abkürzung, LMAA. Denn diese Art der Politik vermittelt das Gefühl, dass der Bürger und teilweise auch seine legitimierten Vertreter keinerlei Mitspracherecht mehr haben und seine Bedenken und Wünsche nicht ernst genommen werden. Allerdings trifft die Schuld nicht Brüssel allein, weiß MEP Michel Reimon MBA von Die Grünen/Europäische Freie Allianz: „Den Auftrag an die Kommission haben die Regierungen erteilt, dieser Auftrag beinhaltet auch die Geheimhaltung. Man muss also zu-erst die Regierungen verantwortlich machen, auch die österreichische. Die sollen sich nicht in Brüssel abputzen. Allerdings ist auch das Verhalten der Kommission inakzeptabel. Das fertig verhandelte Papier wurde an einem Freitagnachmittag veröffentlicht, am Montagmorgen hat die neue Handelskommissarin verkündet, man solle dieses Papier nicht mehr „aufmachen“ und nachverhandeln. Das zeigt vor allem, dass man das größere TTIP natürlich schon während der Verhandlungen kritisieren muss, und nicht auf den Abschluss warten.“

Pro und Contra
Im Jahr 2013 lag laut Statistik Austria der Gesamtwert der Ausfuhren von österreichischen Waren bei rund 125,41 Milliarden Euro, die Einfuhren lagen mit 129,96 Milliarden darüber. Wichtigster Handelspartner ist natürlich Deutschland. Doch auch mit den Vereinigten Staaten verbindet uns schon jetzt ein reger Austausch, der Export belief sich auf 7,06 Milliarden Euro, der Außenhandel mit Drittstaaten stieg insgesamt um 2,4 Prozent auf 39,09 Milliarden Euro an. „CETA und TTIP sind die ersten Freihandelsabkommen der Europäischen Uni-on mit hochentwickelten Industriestaaten, daher auch die hohen Erwartungen und die vielen warnenden Stimmen. Ziel ist jedenfalls die Beseitigung von Handelshemmnissen in einem breiten Spektrum von Branchen und damit die Erleichterung des Kaufs und Verkaufs von Waren und Dienstleistungen zwischen der EU und Kanada usw. der EU und den Vereinigten Staaten“, steht Ing. Mag. Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr, den Abkommen durchaus positiv gegenüber. „Die Mobilitätswirtschaft, die täglich grenzüberschreitend agiert, hat hier meines Erachtens keine „Berührungsängste“, ganz im Gegenteil! Es geht nicht nur um branchenweiten Zollabbau, sondern auch die Reduzierung von Hürden, die über Zollgrenzen hinausgehen, wie zum Beispiel unterschiedliche technische Regelwerke, Normen und Zulassungsverfahren. Diese Hürden kosten Unternehmen, die ihre Produkte vertreiben möchten, in vielen Fällen unnötig Zeit und Geld“, erklärt er. Seiner Meinung nach würde Österreich vom Freihandelsabkommen aufgrund seiner Exportstärke überproportional profitieren und damit einen Wachstumsimpuls für die Mobilitätswirtschaft erhalten. Nachsatz: „Die Politik ist hier jedenfalls in der Verantwortung, Wirtschaftswachstum zu fördern, aber auch die Sorgen der Menschen ernst zu neh-men und durch einen offenen Dialog Lösungen zu finden, die möglichst breite Akzeptanz haben.“

Sorgen bereiten den Kritikern besonders die ISDS, völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten, bei denen ausländischen Investoren besondere Rechte gewährt werden. Vor dem Hintergrund der Gewährleistung von Eigentumsschutz und Schutz vor Enteignung sowie des freien Transfers von Kapital und Erträgen – prinzipiell eine Attraktivierung von Auslandsinvestitionen, die das Wachstum fördert – wird ein Schlupfloch aufgetan, nationale Beschränkungen zu untergraben beziehungs-weise horrende Schadenersatzforderungen aufgrund entgangenen Gewinns vor privaten Schiedsgerichten einzuklagen. Kurz: Investitionsstreitigkeiten sollen auf rechtlichem statt auf politischem Wege beigelegt werden. Eine mögliche Alternative zu ISDS wäre – so der Vorschlag der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) – ein Staat-Staat-Streitbeilegungsmechanismus, wie ihn die Welthandelsorganisation nutzt. Vorteil: ausländische Unternehmen hätten keine weitergehenden Rechte als inländische. Sinnvoll wäre es auch, die Definition von „Investition“ auf den Einsatz von Kapital oder den Erwerb von Grundbesitz zu beschränken, Gewinnerwartungen oder Risikoübernahmen jedoch nicht als Grundlage für die Beurteilung der Investition zuzulassen. Für Reimon hat Einbinden solcher Klauseln Methode: „Das ist eine Dauerstrategie: Den Investitionsschutz hat man schon mehrfach einzuführen versucht – und wenn CETA abgelehnt wird, wird man es wieder versuchen.“

Bei einem erhöhten Handelsaufkommen sollte vor allem die Transportbranche jubilieren – sollte man meinen. Denn fragt man beispielsweise Maximilian Schachinger, Geschäftsführender Gesellschafter der Scha-chinger Logistik Holding, kann dieser dem Abkommen nichts Positives abgewinnen: „Es erstaunt mich, dass neoliberales Gedankengut noch derartig dominant sein kann: Der Wettbewerb unter Volkswirtschaften wird durch Lohnkonkurrenz, Steuerdumping und Deregulierung weiter verschärft. Dafür sollen die Rechte der Gesellschaft noch stärker gegenüber multinationalen Konzerninteressen eingeschränkt werden.

Wie können wir so etwas zulassen?! TTIP soll dazu dienen, „die Wirtschaft zu fördern“, aber welche Wirtschafts-teilnehmer sind hier gemeint? Die Wirtschaft der Europäischen Union besteht aus mehreren Millionen Unternehmen, die den inzwischen stärksten gemeinsamen Markt der Welt mit über 500 Millionen Menschen beliefern. Wenn man die Themen wie auch die Mehrheit der Berater und Interessensvertreter betrachtet, wird das TTIP aber nur für einige multinationale Konzerne und damit weniger als ein Prozent der Unternehmen von Vorteil sein.“

Regulatorische Kooperation
Ein Thema, das bisher kaum diskutiert wird, aber aufgrund seines Vorhandenseins in CETA und TTIP für ebenso starke Proteste wie die ISDS sorgen könnte, ist die „Regulatorische Kooperation“, meint Reimon: „Vereinfacht bedeutet das, dass die EU und Kanada beziehungsweise die EU und die USA per Vertrag vereinbaren, Regulierungen gemeinsam zu beschließen. Die Parlamente müssen Gesetze dann so erlassen, dass sie dieser gemeinsamen Lösung entsprechen. Und hier liegt das Problem: Die gemeinsame, übergeordnete Lösung wird VOR dem Parlament beschlossen – ohne demokratische Legitimierung. Da sitzen dann die Großkonzerne am Tisch, nicht die österreichischen Mittelstandsunternehmen.“ Wasser auf die Mühlen von Schachinger: „Uns ist es unbegreiflich, wie dieses Ansinnen neben all den wirklich einschneidenden Herausforderungen (Demografie, Verteilungskonflikte, Kriege, Klimawandel bis zur Gefährdung der Lebensgrundlagen) ernst-haft betrieben werden kann. Ich warne vor einer Aushöhlung unserer Selbstbestimmung und hart erkämpfter Qualitätsstandards. Wir erwarten uns von TTIP eine Reduktion der Qualitätslevels und keine quantitativen Vorteile für unser Unternehmen.“

Fahrplan
Das CETA-Abkommen wurde bereits unterzeichnet, die politischen Entscheidungen dazu im Europäischen Rat und Europäischen Parlament stehen frühestens Ende 2015 an. Vorausgesetzt, es gibt hier Zustimmung, folgt darauf eine Ratifizierung in allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Bei TTIP fand soeben die siebente Verhandlungsrunde statt, Inhalte sind nach wie vor geheim. Die Verhandlungen über ISDS sind momentan auf Eis gelegt – der Plan ist, bis Ende 2015 ein fertiges Abkommen zu haben. Auch TISA soll bis 2015 ausverhandelt sein. Für alle, denen die Inhalte der Abkommen wie die ISDS oder die Unumkehrbarkeit von Privatisierungen widerstreben, findet am 11. Oktober 2014 ein europaweiter Aktionstag gegen TTIP, CETA und TISA statt – in Österreich beim Markus Omofuma-Gedenkstein in Wien. (AG)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 3-2014

 

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