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Türkei – Logistikgeschenke zum Hundertsten

Die Türkei plant gewaltige Logistikprojekte, doch die instabile politische Lage könnte die erforderlichen ausländischen Direktinvestitionen stoppen und die Projekte gefährden.

Die in den letzten Jahren aufstrebende Türkei muss nun einige Rückschläge entgegennehmen. Aufgrund der politischen Lage hat die internationale Rating-Agentur Standard & Poor‘s (S&P) im Februar ihren Ratingausblick für das Land am Bosporus von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Die langfristige Bonitätsnote wurde bei BB+ belassen. Für 2014 sagt die Agentur ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 2,4 Prozent voraus. 2015 soll die Zunahme des BIP auf 2,0 Prozent abnehmen. Die Europäische Kommission erwartet für 2014 ein reales Wachstum der türkischen Wirtschaft von 2,5 Prozent. Dagegen rechnet die türkische Regierung nach wie vor mit 4,0 Prozent Wachstum. Die Weltbank schätzt die Zunahme des BIP auf 3,5 Prozent ein.

Um die ehrgeizigen Entwicklungs- und Wachstumsziele umzusetzen, ist die Türkei in hohem Maße von ausländischen Direktinvestitionen abhängig. Diese sind jetzt durch die Korruptionsaffäre um Premierminister Erdoğan, seinen autoritären Führungsstil und die daraus entstehenden politischen Verwerfungen gefährdet. Demonstranten fordern seit Monaten den Rücktritt des Premiers. Der Rückgang an Direktinvestitionen könnte auch den geplanten logistischen Ausbau des Landes am Bosporus gefährden.

Gute Prognosen für Logistikdienstleistungen
Es gibt viele Faktoren, die für ein unternehmerisches Engagement in der Türkei sprechen. Zunächst fällt die günstige geografische Lage auf. Von der Türkei aus können leicht Konsumenten in Europa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika versorgt werden. Zudem liegt das Land traditionell an wichtigen Handelsstraßen wie der Gewürz- und Seidenstraße. 2012 ist die türkische Republik laut Invest in Turkey zur „16.-größten Volkswirtschaft der Welt und zur sechstgrößten Volkswirtschaft im Vergleich mit den 27 EU-Ländern in Bezug auf BIP und Kaufkraftparität geworden.“

Der aufstrebende Mittelstand in einem Land mit fast 77 Millionen Einwohnern im Jahr 2013 verspricht eine zunehmende Kaufkraft. Weiteres Argument für den Standort sind gemäß dem Beratungsunternehmen Jones Lang LaSalle die zahlreichen Pläne zum Ausbau der industriellen Kapazitäten sowie die Verbreitung des Outsourcings in vielen Bereichen. Sie sind ein Indikator dafür, dass der Transport- und Logistiksektor in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Das Land muss allerdings die Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffimporten verringern, die ein chronisches Handels- und Leistungsbilanzdefizit erzeugen und somit eine Wachstumsbremse darstellen.

Ehrgeizige Logistikprojekte
Die Verkehrsinfrastruktur der mittlerweile als „China Europas“ bezeichneten Republik Türkei soll massiv ausgebaut werden. Bisher werden gemäß dem Ministerium für Transport, maritime Angelegenheiten und Kommunikation rund 75 Prozent der Fracht auf der Straße transportiert. 2013 haben sich die Importe laut dem Türkischen Statistischen Institut um 6,4 Prozent vermehrt, die Exporte schrumpften allerdings um 0,4 Prozent. 2012 lag der Zuwachs bei den Exporten bei 13 Prozent, und bei den Importen erreichte der Abfall 1,8 Prozent.

Das Bruttoinlandsprodukt fiel laut Weltbank auf 2,2 Prozent. Dies war eine Folge der restriktiven Wirtschaftspolitik der Regierung sowie der Geldpolitik der Zentralbank. Zudem hat die Abschwächung des privaten Konsums, der einen großen Anteil am BIP hat, zu einer Schrumpfung des Wirtschaftswachstums geführt. 2013 lag das BIP laut Weltbank bei 4,3 Prozent. Es soll bis 2016 wieder bei rund 4 Prozent liegen. Der Exportwert wird sich gemäß mittelfristigem Regierungsprogramm zwischen 2013 und 2016 von 153,5 Milliarden US-Dollar (112 Milliarden Euro) auf 202,5 US-Dollar (147 Milliarden Euro) erhöhen. Laut Prognose soll der Wert der Importe von 183 Milliarden Euro auf 222 Milliarden Euro zunehmen.

Daher muss die Infrastruktur dringend ausgebaut werden, der türkische Staat beabsichtigt bis 2023 145 Milliarden Euro in diesen Bereich zu investieren. 60 Prozent sollen aus staatlicher Hand kommen. Unter den ehrgeizigen Vorhaben ist u.a. der „Kanal-Istanbul“: Ein zum Bosporus paralleler 48 Kilometer langer Kanal soll das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden. Der 150 Meter breite und 25 Meter tiefe Kanal wird westlich vom Bosporus verlaufen. Nach Wunsch der Regierung soll er bis 2023 zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Türkei fertiggestellt sein – was allerdings bei der Größe des Projekts utopisch erscheint. Der stark befahrene Bosporus (täglich etwa 255 Schiffe, darunter zahlreiche Öltanker) würde dadurch entlastet werden. Auf dem Kanal könnten bis zu 160 Schiffe pro Tag verkehren. Die Kosten für das Projekt werden auf 8 bis 10 Milliarden US-Dollar (6 bis 7,5 Milliarden Euro) geschätzt.

Weiterhin sind drei Containerhäfen in Bau bzw. noch in der Planungsphase: Çandarlı (Kapazität: 12 Millionen TEU, zwei Phasen) in der nordägäischen See, Filyos im westlichen Schwarzen Meer (Container, Eisenerz und Öl, Kapazität 25 Millionen Tonnen) und Mersin (11,4 Millionen TEU, fünf Phasen) im Mittelmeer. Çandarlı wird somit zum größten Hafen im Mittelmeer avancieren. Ebenso ist der Ausbau des Hafens Istanbul zum Containerhub (7,2 Millionen TEU im Jahr 2012) geplant. Der Güterumschlag in den Seehäfen wird gemäß Fünfjahresplan (2014 – 2018) von 248 Millionen auf 615 Millionen Tonnen und der Umschlag in den Containerhäfen von 3,9 Millionen auf 13,8 Millionen TEU steigen. Zusätzlich steht die Privatisierung von Häfen an.
Die Planung des dritten Flughafens in der Hauptstadt Istanbul ist im Februar aufgrund eines Gerichtsbeschlusses wegen Umweltbedenken ins Stocken geraten. Der neue Flughafen soll aus 6 Landebahnen, 16 Rollbahnen, 165 Fluggastbrücken und einem 6,5 Millionen Quadratmeter großen Flugfeld bestehen. Die Kosten werden sich auf 10 Milliarden Lira (3,5 Milliarden Euro) belaufen. Bau und Betrieb des Flughafens wird das Limak Konsortium übernehmen. Weitere Projekte sind eine dritte Brücke über den Bosporus für 4,5 Milliarden Euro, ein 13,6 km langer Unterwasser-Eisenbahntunnel in der Straße von Istanbul (Marmarameer) und ein landesweites Netzwerk von Hochgeschwindigkeitseisenbahnen. Wenn die Marmara-Strecke und die Kars-Tbilisi-Baku-Strecke geschlossen sind, wird eine ununterbrochene Eisenbahnverbindung von London via Türkei nach China bestehen. Laut Fünfjahresplan sollen die bisher sehr niedrigen Anteile des Schienen- und Seetransports am gesamten Transportvolumen in den kommenden zehn Jahren auf 15 beziehungsweise 10 Prozent erhöht werden.

Quelle: Logistik express Fachmagazin 2/2014

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